Was die VW-Abgasaffäre über die Kanzleimarke lehrt

Die Grundfunktionen der Kanzleimarke

Darüber hinaus müssen die Grundfunktionen der Kanzleimarke berücksichtigt werden.

Information und Orientierung

Alle von Menschen gemachten Systeme sind offen. Sie sind auf den Austausch mit ihrem Umfeld angewiesen. Dieser Austausch fordert Information und er fordert eindeutige Orientierung – genau das sind die beiden ersten Grundfunktionen der Kanzleimarke. Die Kanzlei muss schon unmissverständlich darüber informieren, wer sie ist, welche Märkte oder Bereiche sie mitgestalten und mit welcher Idee von Ergebnis sie das tun will. Sie muss außerdem die Zielmandanten in diesen Bereichen identifizieren und schließlich sagen, was genau sie diesen an Leistungen anbietet. „Wer, wo, warum, mit wem und was“ lautet die Kurzformel für den Mindestgehalt von Informationen. Das klingt banal und ist banal, und es wird doch von der Mehrzahl der Kanzleien nicht berücksichtigt. Schaut man auf den zunehmenden Wettbewerb im Kanzleimarkt, dann fragt man sich, wie eigentlich die Mandanten erkennen sollen, welche Kanzlei ihre unternehmerischen Zielvorstellungen teilt und die dafür notwendigen Leistungen bereithält.

Vertrauen

Vertrauen ist die dritte Grundfunktion der Kanzleimarke. Ohne die Fähigkeit, Vertrauen beim Gegenüber zu erwecken, wird eine Kanzleimarke nicht bestehen können. Wie wichtig der Aspekt des Vertrauens ist, genau das zeigt sich im Fall VW, in dem sich das Vertrauen in höchste Ingenieurleistungen nun in ein (wahrlich berechtigtes) Misstrauen gegenüber dem Missbrauch von Ingenieurleistungen für den Betrug gewandelt hat. Nicht zuletzt wird hier die deutsche Compliancekunst zur schönfärbenden Tarnkappe für Wirtschaftskriminalität. So jedenfalls zeigt sich die Marke Deutschland jetzt dem Betrachter. Das Vertrauen ist arg ramponiert.

Als positive Emotion dient Vertrauen als Voraussetzung dafür, eine Entscheidung für oder gegen eine Kanzlei treffen zu können. Es ist ein in der medizinischen Literatur umfassend beschriebenes Phänomen, dass Menschen mit Frontalhirnverletzungen deshalb keine Entscheidungen treffen können, weil ihr emotionales Zentrum beschädigt ist. Erst und ausschließlich die Verbindung aus Verstand und Emotion befähigt uns zur Entscheidung. Das hat auch etwas damit zu tun, dass wir uns nur für etwas entscheiden können, wenn es uns sinnvoll erscheint. Sinn aber ist immer eine Konstruktion aus Bedürfnissen, individuellem Erleben und faktischer Anschauung. Wer eine Kanzlei markenzentriert führen will, braucht also in jedem Fall die Fähigkeit, Vertrauen herstellen zu können.

Wertschöpfung

Die vierte Grundfunktion der Kanzleimarke ist Wertschöpfung – hier nicht zu verstehen als Ergebnis eines Leistungserstellungsprozesses, sondern als Ergebnis einer markenzentrierten Kanzleiführung. Wertschöpfung zeigt sich erstens in Bezug auf die Wertsteigerung der eigenen Kanzleimarke mit Blick auf Bekanntheit, Reputation, Vertrauen, Kompetenz und Qualität der erbrachten Leistungen sowie Preisgestaltung. Nicht zuletzt ist jede Kanzlei auch auf die Wertsteigerung ihrer Arbeitgebermarke angewiesen – wie sonst sollte sie im Kampf um die Besten bestehen, und wie sonst sollte sie die Guten halten können?

Wertschöpfung zeigt sich zweitens angesichts der Frage, wie die Kanzlei zur Wertsteigerung der von ihnen betreuten Mandanten beitragen kann. Anders als noch vor wenigen Jahren müssen sich Kanzleien heute der Frage stellen, was ein Unternehmen davon hat, eine Kanzlei zu beauftragen. Die Antwort kann hier schlechterdings „gute Rechtsberatung“ sein. Dass insbesondere diese Anforderung unterbelichtet wahrgenommen wird, zeigt die Zunahme der Unternehmensrechtsabteilungen – das ausschließliche Outsourcen anwaltlicher Leistungen scheint jedenfalls keine Alternative mehr für Unternehmen zu sein.

Last but not least zeigt sich die Wertschöpfungskraft der Kanzleimarke bei der Wertsteigerung der Märkte, in den die Kanzlei aktiv ist. Vergegenwärtigt man sich, dass jedes gesellschaftliche und jedes Marktgeschehen undenkbar ohne rechtliche Gestaltung ist, wird deutlich, wie basal die rechtliche Gestaltung für den Bestand und die Weiterentwicklung der Märkte ist, ja sein muss.

Absatz

Die schließlich fünfte Grundfunktion der Kanzleimarke ist der Absatz. Markenzentrierte Kanzeleiführung dient der Absatzsteigerung. Wer weiß, wie Marken funktionieren, der weiß auch, dass eine wertvolle Marke höhere Preise für vergleichbare Leistungen und Arbeitsergebnisse erzielen wird. Der Absatz dient so gesehen zugleich als Controlling-Instrument. Er ist der Gradmesser für erfolgszentrierte Kanzleimarkenführung.

Abschließend

An der Marke Deutschland ist in den letzten Monaten heftig gerüttelt worden – sei es mit Blick auf die Widersprüchlichkeit einer Willkommenskultur einerseits und einem zeitgleichen Versuch, angesichts überschwemmender Flüchtlingsströme sichere Herkunftsländer zu benennen. Sei es, wie erwähnt angesichts der jüngsten Betrugskrise, die, so hört man allenthalben, wohl nicht auf VW beschränkt werden bleibt. Deutlich wird hier sicher eins: Marke ist kein Konstrukt irgendwelcher Marketingexperten, Marke ist ein beinahe natürlich zu nennendes Phänomen das entsteht, wenn Menschen etwas gemeinsam tun.

Diese Erkenntnis sollten Anwälte berücksichtigen, wenn sie sich der Herausforderung einer markenzentrierten Kanzleiführung stellen – sie sind bereits eine Kanzleimarke. So gesehen sollten sie ein differenziertes Verständnis von ihrem „markierten Sosein“ entwickeln, und bei der Gestaltung der einzelnen Kanzleibereiche und ihrer Kommunkation sollten sie unbedingt die Grundfunktionen der Kanzleimarke berücksichtigen.

Stephanie Hartung ist die Autorin des Buchs „Die Kanzlei als erfolgreiche Marke“, Springer Gabler Verlag, 2015

Bildnachweis: „Dual exhaust pipe with smoke“ ©Christian Kerekes – fotolia.com

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