Wenn die Medien das Urteil sprechen
Erschüttert Litigation-PR das Vertrauen in den Rechtsstaat?
Litigation-PR, also prozessbegleitende Öffentlichkeitsarbeit, soll die Reputation etwa des Angeklagten schützen und medialen Schaden von ihm abwenden der dadurch entstehen kann, dass die Medienberichterstattung andere Ziele verfolgt, als die Rechtsfindung. Doch der Anspruch der Litigation-PR-Branche geht häufig darüber hinaus: Durch Litigation-PR soll über die Medienberichterstattung das Gericht in seinem Urteilsspruch beeinflusst werden[1].
Dieser Anspruch die richterliche Entscheidung zu beeinflussen – ganz gleich ob tatsächlich durchsetzbar oder nur behauptet – berührt das Selbstverständnis der deutschen Justiz in ihrem Kern. Schließlich sind allein die Richter dafür zuständig ein Urteil zu fällen und zwar unabhängig und nur nach Maßgabe der Gesetze. Aber nicht nur für die Justiz, auch für die Gesellschaft kann der so formulierte Anspruch medialer Einflussnahme weitreichende Konsequenzen haben.
Die Bedeutung des Vertrauens in unser Rechtssystem
Unser Rechtssystem genießt, wie in vielen anderen modernen Demokratien auch, in weiten Teilen das Vertrauen der Bevölkerung. Setzt sich aber in den Köpfen und Herzen der Menschen fest, dass eine durch Litigation-PR gesteuerte Medienberichterstattung den Ausgang eines Gerichtsverfahrens entscheidend beeinflusst, wird dieses Vertrauen in den Rechtsstaat in seinen Grundfesten erschüttert. Denn der Sieg der Litigation-PR würde nichts anderes bedeuten, als dass Geld und Macht über die Gerechtigkeit siegen[2].
Die Öffentlichkeit als Grundpfeiler eines demokratischen Rechtsstaats
Auf der anderen Seite hat die Öffentlichkeit ein Recht auf Informationen über Anklagen, Strafverfahren, Wirtschaftsprozesse, Rechtsstreitigkeiten, Gerichtsentscheidungen. Denn die Kontrolle gerichtlicher Verfahren durch die Öffentlichkeit ist auch ein Grundpfeiler für einen demokratischen und rechtsstaatlichen Staat und eine Errungenschaft, die es zu schätzen und zu wahren gilt. Wie aber sollen die Menschen informiert werden, wenn nicht durch Journalisten, die über den Prozess berichten?
Es darf bezweifelt werden, dass eine Rundfunk- und Filmberichterstattung aus dem Gerichtssaal die medialen Gefahren verringern würde. Allerdings hat das Recht der medialen Entwicklung wohl in irgendeiner Form Rechnung zu tragen, damit es sich nicht zu weit von der Gesellschaft entfernt und auf Dauer an Akzeptanz verliert[3].
Wie soll’s gehen?
Die Öffentlichkeit in einer Form an der Rechtsfindung teilhaben zu lassen, die eine umfassende Information und Kontrolle ermöglicht, und dabei den modernen medialen Bedingungen gerecht zu werden ist eine Aufgabe, der sich die für die Rechtspflege Verantwortlichen über kurz oder lang stellen müssen.
Zum Nach- und Weiterlesen:
- Art. 92 GG: „Die rechtsprechende Gewalt ist den Richtern anvertraut; (…)“
- Art. 97 Abs. 1 GG: „Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen.“
- § 169 GVG: „Die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse ist öffentlich. Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts sind unzulässig.“
[1] Vgl. Joachim Jahn: „Zwischen Erpressung und Dienst an der Gerechtigkeit“ in: Boehme-Neßler (Hrsg.): „Die Öffentlichkeit als Richter?“ 2010, S. 11ff. (11).
[2] Vgl. Volker Boehme-Neßler: „Die Öffentlichkeit als Richter? Chancen und Risiken der Litigation-PR aus verfassungsrechtlicher und rechtssoziologischer Sicht“, in: ders. (Hrsg.): „Die Öffentlichkeit als Richter?“ 2010, S. 20ff. (43f.).
[3] Volker Boehme-Neßler: „Die Öffentlichkeit als Richter? Chancen und Risiken der Litigation-PR aus verfassungsrechtlicher und rechtssoziologischer Sicht“, in: ders. (Hrsg.): „Die Öffentlichkeit als Richter?“ 2010, S. 20ff. (45).