Jenseits der Zahlen

Wie erfolgreich sind die Top-Kanzleien?

Sind die großen Wirtschaftskanzleien in Deutschland und weltweit erfolgreich? Den wirtschaftlichen Zahlen nach zu urteilen lautet die Antwort sicher: Ja. Nach Auffassung von Markus Hartung, Direktor des Bucerius Center on the Legal Profession an der Bucerius Law School, Hamburg zeigt die Insolvenz der New Yorker Großkanzlei Dewey & LeBoeuf aber, dass der Blick auf die wirtschaftlichen Daten nicht genügt – und sogar den Blick auf die wirklich wichtigen Ziele verstellt. Erfolgreich sei eine Kanzlei nur, wenn sie eigene, selbst gesteckte Ziele erreiche. Aus dieser Perspektive hätten Kanzleien aber noch Nachholbedarf.

awk: Erreichen tatsächlich viele Kanzleien ihre Ziele nicht?

Markus Hartung: Empirisch lässt sich eine solche Behauptung sicher nicht belegen. Unsere Erfahrung zeigt aber, dass das bei vielen Kanzleien der Fall ist, auch bei „guten Adressen“. Manchmal könnte man den Eindruck gewinnen, dass es bei deutschen Kanzleien zum guten Ton gehört, keine Strategie zu haben. Aber ohne Strategie gibt es keine Ziele und folglich keine Zielerreichung. In solchen Fällen bewegen sich Kanzleien eher im Blindflug durch den Markt.

awk: Woran liegt das?

Markus Hartung: Das hat viele Gründe. Strategie hat mit Veränderung zu tun, und damit tun sich Anwälte schwer – die Anwaltschaft ist keine wirklich veränderungswillige Branche. Das führt auch zu einer Umsetzungsschwäche in den Kanzleien: Es reicht ja nicht, eine Strategie zu haben, sondern man muss etwas tun, um seine Ziele zu erreichen.

awk: Ist ein Grund, dass Kanzleien ihre Ziele nicht richtig definieren? 

Markus Hartung
Markus Hartung

Markus Hartung: Das ist einer der wesentlichen Gründe. Die Zielsetzung in Anwaltskanzleien, wie in anderen Unternehmen, ist ein sehr komplexer Prozess, der Zielkonflikte bewältigen muss. Da stoßen die unterschiedlichsten Interessen aufeinander, die sich nur schwer miteinander vertragen. Das ist besonders schwierig in Kanzleien, in denen die Partner gleichberechtigt sind und niemand das letzte Wort hat. Dieser Prozess ist außerdem zeitaufwendig und rechnet sich erst auf mittlere Sicht.

awk: Was können denn Kanzleiziele sein?

Markus Hartung: Das wichtigste Ziel ist, in den Worten von Fredmund Malik, die Fähigkeit, mittel- und langfristig zu überleben – the ability to survive. Dieses Hauptziel erfordert eine Reihe von Maßnahmen, die sich auf die Marktposition beziehen, auf die Mitarbeiter, auf Kreativität und vielleicht auch auf Innovation und schließlich auf wirtschaftliche Ziele. Aus diesen Zielen ergeben sich Zielkonflikte. Man kann sich nicht nur auf ein Ziel konzentrieren – etwa auf den Gewinn pro Partner –, weil die Vernachlässigung der anderen Ziele mittel- und langfristig fatale Folgen haben kann.

awk: Welche Messverfahren sind denkbar, um zu überprüfen, ob Kanzleien ihre Ziele erreichen?

Markus Hartung: Das hängt davon ab, was eine Kanzlei erreichen und wie sie ihr Überleben am Markt sicherstellen will. Wenn eine Kanzlei etwa das Ziel hat, die erste Adresse für bestimmte Mandanten zu sein, dann müssten sich Messverfahren auf Mandantenzufriedenheit beziehen. Weiterhin sollte man die Mitarbeiterzufriedenheit messen – viele Kanzleien sagen ja, dass die Mitarbeiter bei ihnen im Mittelpunkt stehen. Man könnte etwa evaluieren, wie lange Mitarbeiter bei der Kanzlei bleiben, ob und in welchem Umfang es gelingt, sie an die Partnerschaft heranzuführen, und man kann messen, ob Mitarbeiter mit ihrer Arbeitsumgebung zufrieden sind. Das sind qualitative Ziele, die man nicht mit den üblichen Methoden messen kann. Die gängigen Messverfahren beziehen sich aber nur auf Zahlen, also auf quantitative Ziele. Wenn man aber nur die Profitabilität oder den Umsatz von Berufsträgern misst, kann man keine Aussage darüber treffen, ob die Kanzlei ihre qualitativen Ziele erreicht hat.

awk: Wie wichtig ist es, die maßgeblichen Ziele nach außen zu kommunizieren?

Markus Hartung: Das ist sehr wichtig, und viele Kanzleien machen das ja auch. Allerdings wird nicht kommuniziert, wie die Zielerreichung tatsächlich gemessen wird und ob man seine Ziele auch erreicht. Wenn nur die Ziele kommuniziert werden, bleibt es bei der bloßen Behauptung, die man glauben kann, oder auch nicht. Ein Beispiel: Wenn eine Kanzlei kommuniziert, dass bei ihr auch Frauen Partnerchancen haben sollen, dann ist das nur der Anfang, damit überzeugt man noch keine Bewerberin. Würde man aber kommunizieren, was man tut, um dieses Ziel zu erreichen, wäre man glaubwürdig. Ähnlich ist es mit Mandanten: Kommuniziert man nur sein Ziel, hochzufriedene Mandanten zu haben, dann ist das eine Sache. Überzeugend wird es erst, wenn man auch mitteilt, wie man sich selber kontrolliert und sicherstellt, dass es nicht nur beim bloßen Vorsatz bleibt.

awk: Haben Sie den Eindruck, dass die deutschen und internationalen Top-Kanzleien die notwendigen Lehren aus der Insolvenz von Dewey & LeBoeuf ziehen?

Markus Hartung: Schwer zu sagen. Ein Hauptgrund der Dewey-Insolvenz war ja die viel zu hohe Verschuldung, das ist aber nicht das Problem der deutschen Kanzleien. Vermutlich haben aber gerade US-Kanzleien Lehren aus dem Fall gezogen, aber darüber wird nicht gesprochen – dann müsste man ja einräumen, dass man eine ähnlich hohe und problematische Verschuldung hatte. Das wird aber niemand öffentlich zugeben.

Zum Weiterlesen:

  •  Markus Hartung: Erfolg! Erfolg?, in: Deutscher Anwaltsspiegel Jahrbuch 2012/2013, S. 114ff.

Bildnachweis: „microphone connected“ ©Luminis, www.fotolia.com

Kommentare

reinemann
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Oh! Vielen lieben Dank für den Hinweis!

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